SANG-HOON DEGEIMBRE: AROMENMALEREI MIT DEM ULTRASCHALLGERÄT
05.04.2016
„Koch des Jahres 2016“ - Sang-Hoon Degeimbre darf sich seit November 2015 mit dieser Auszeichnung des Gault Millau schmücken. Im April 2016 präsentiert er als Gastkoch des Restaurant Ikarus seine außergewöhnliche Aromenlehre im Hangar-7.
Ein liebevoll renovierter Vierkanthof, eingebettet in die sanften Weiten der wallonischen Hügellandschaft: Das ist das Restaurant L’Air du Temps. Neben der puren Schönheit der Natur und dem geschmackvollen Interieur schmücken das Lokal aber auch zwei Michelin-Sterne – und das, obwohl Küchenchef Sang-Hoon Degeimbre vor der Eröffnung keinerlei Erfahrung als Koch hatte. Die gehobene Gastronomie war dem gebürtigen Südkoreaner, der im Alter von fünf Jahren gemeinsam mit seinem Bruder von einer belgischen Großfamilie adoptiert worden war, freilich nicht gänzlich fremd.
Als Sommelier arbeitete Sang-Hoon Degeimbre zehn Jahre lang in renommierten belgischen Restaurants wie dem Le Vivier d’Oies in Dorinne, dem La Truffe Noire in Brüssel oder dem L’Eau Vive in Arbre.
Seinen Traum, selbst einmal als Chef in der Küche zu stehen, erfüllte er sich schließlich im Jahr 1997 mit dem Restaurant L’Air du Temps, das er gemeinsam mit seiner Frau Carine führt. Im Umgang mit Töpfen und Kochlöffeln gänzlich unerfahren, machte er aus der Not eine Tugend und begann sein Wissen aus der Welt des Weines einfach auf das Essen umzulegen. Eine außergewöhnliche Herangehensweise, die zum Erfolgsrezept werden sollte: Nach nur drei Jahren erhielt der frischgebackene Küchenchef seinen ersten Michelin-Stern.
Wie er das macht? Ähnlich wie bei gutem Wein zerlegt Sang-Hoon Degeimbre jedes Produkt in seine einzelnen Aromen und zieht daraus seine Schlüsse. So entwickelte er etwa das „Foodpairing“-Verfahren, bei dem er Zutaten mit erstaunlichen Gemeinsamkeiten paart, um die absolute Harmonie im Mund zu erschaffen. Einige Berühmtheit in der Szene erlangte hierbei seine Kombination von Auster und Kiwi, bei welcher er insgesamt 14 idente Aromen feststellte.
Degeimbre verwendet nicht nur Zutaten von höchster Qualität, die er zu einem beträchtlichen Teil aus der Region bezieht oder – noch besser – die im zwei Hektar großen Garten rund um das Restaurant wachsen. Er ist auch ein überzeugter Vertreter modernster Technik und setzt diese mit Begeisterung bei der Erschaffung seiner kulinarischen Kreationen ein. So filtert er die aromatischen Moleküle seiner Zutaten mittels Ultraschall oder benutzt Vakuumbeutel, um die Fermentation von Gemüse zu kontrollieren. „Technologie kann große Emotionen wecken“, ist der Belgier überzeugt.
Die dritte bedeutende Komponente neben Produkt und Technik und wahrscheinlich der wichtigste Eckpfeiler seiner Philosophie ist aber immer noch die Experimentierfreudigkeit: „Mein größter Vorteil war es rückblickend, dass ich mir das Kochen selbst beibringen musste. In der Schule wird viel zu viel gefragt und hinterfragt. In der Küche aber musst du Dinge ausprobieren. Manchmal gewinnst du, manchmal verlierst du. Das Wichtigste ist, dir keine Grenzen zu setzen.“
Diese Experimentierfreudigkeit sieht und schmeckt man in jedem seiner Gerichte, die nicht nur kulinarisch wahre Kunstwerke sind, sondern tatsächlich auch optisch an abstrakte Malereien erinnern: Sie gliedern sich nahtlos ein in die „Weniger ist mehr“-Attitüde des gesamten Restaurants und sind in ihrer Reduziertheit absolut vollkommen.
So serviert Degeimbre etwa seine Version des belgischen Nationalgerichts Moules-frites: Muschelfleisch, das zwischen zwei Schalen aus frittierten Kartoffeln gebettet ist, die mittels Sepia vom Tintenfisch schwarz gefärbt wurden. Oder wie wäre es mit einer atemberaubenden Kombination aus Kimchi, eingelegtem und milchfermentiertem Gemüse aus dem Restaurantgarten, und grünem Öl, das Degeimbre aus den Kernen einer speziellen Pinienart presst.
Der asiatische Einschlag in letzterem Gericht ist dabei nicht zufällig oder aus einer Laune heraus entstanden, sondern das Ergebnis eines der jüngsten Entwicklungsschritte in der Karriere von Sang-Hoon Degeimbre. Im Jahr 2009 reiste er erstmals, seitdem er als Kind nach Belgien gekommen war, wieder in seine südkoreanische Heimat und entdeckte dort seine tiefe Verbundenheit mit der Kultur, der Mentalität und der Kulinarik dieser Region.
Die Begeisterung seiner Gäste und Kritiker blieb natürlich ungebrochen – ganz im Gegenteil. So hält das L’Air du Temps aktuell bei 18,5 Punkten im Gault Millau und konnte seit dem Jahr 2008 ununterbrochen seine zwei Sterne im Guide Michelin verteidigen.